Riesen, Rätsel, ganze Welten
Von Streicherteppichen, Energieschüben und dem ganz großen Orchesterklang.

Wer kennt das nicht? Dieses wohlige Empfinden, das ein samtweicher Streicherteppich ausbreitet. Den Energieschub, ausgelöst durch ein sattdröhnendes Instrumententutti. Das Wechselbad der Emotionen, wenn betörende Klangfarben miteinander konkurrieren. Orchester ist die landläufige Bezeichnung für das Kollektiv, das diesen Gefühlsrausch erzeugt. Die Bilanz nicht selten: Gänsehaut pur! Ein Werk für großes Sinfonieorchester imaginiert ganze (Hör-)Welten, kann im musikalischen Breitwandformat irdische und überirdische Existenzen ausleuchten und ist oft spannend wie ein Blockbuster.
Ein Riese namens Beethoven
„Viel Zeit gehört dazu, um die musikalischen Weltenmeere zu entdecken, mehr aber noch, um darauf segeln zu lernen.“ Im Vorwort seiner Instrumentationslehre für Orchesterkompositionen brachte Hector Berlioz auf den Punkt, wovon beinahe jeder seiner Komponistenkollegen im 19. Jahrhundert ein langes Klagelied zu singen wusste. Schuld an der Misere? Beethoven! Mit seinen neun Sinfonien, den fünf Klavierkonzerten, dem Tripel- und nicht zuletzt seinem Violinkonzert hat er wuchtige Marksteine in die Timeline der Musikgeschichte gemeißelt. Wollte man als Komponist etwas werden, kam man am großen Orchester und an Beethoven nicht vorbei.
Auch nicht an seiner Sechsten, der Pastorale, der als einer der ersten Sinfonien ein philosophischer Gedanke innewohnt: die Idee vom ewigen Kreislauf der Natur. „Mehr Ausdruck der Empfindung als Mahlerey“, schrieb Beethoven vorsichtshalber über seine Sinfonie. Als bloße Naturschilderung wollte er sie nicht verstanden wissen. Vor Oberflächlichkeit und Auf-der-Stelle-treten grauste es ihm. „Weitergehen“ lautete sein Credo. Mit seiner bewegten und bewegenden Pastorale geben die Bamberger Symphoniker Beethovens Lebensmotto farbintensiven Klangausdruck. Vorwärts drängt es auch die Siebte von Beethoven. Das London Philharmonic Orchestra bringt sie mit in die Kölner Philharmonie, Karina Canellakis, seit 2020 erste Gastdirigentin der Londoner und erste Frau in dieser Position, leitet durch die Klangmassen.
- Freitag, 20. Februar 2026 | 20:00 Uhr | Kölner PhilharmonieLondon Philharmonic Orchestra
Karina Canellakis | Anne-Sophie Mutter
Abo B entdecken
Nicht von dieser Welt
Dabei war auch Beethoven nicht als gemachter Meister vom Himmel gefallen. Zum Riesen wuchs er erst heran. Der Meister, an dem er sich zunächst abzuarbeiten hatte, hieß Wolfgang Amadeus Mozart. Das Genie mit dem göttlichen Nimbus, dem nachgesagt wird, eine höhere Macht habe ihm beim Komponieren gleichsam die Hand geführt. Zwar ist mit dieser Mär längst aufgeräumt, aber der wohl berühmteste Wahl-Wiener gibt trotzdem noch genug Rätsel auf. Zum Beispiel dieses: In wessen Auftrag und zu welchem Anlass komponierte er seine letzten drei Sinfonien? Keiner weiß es. Aber schon Beethoven war klar, dass die Trias aus KV 543, KV 550 und KV 551 in ihrer Meisterschaft schwer zu überbieten ist. „Die Jupiter-Sinfonie könnte ja beinahe schon von Beethoven sein“, findet auch Antonello Manacorda, der sich für Köln mit der Kammerakademie Potsdam der Mozart-Herausforderung stellt.
- Sonntag, 25. Januar 2026 | 20:00 Uhr | Kölner PhilharmonieKammerakademie Potsdam
Antonello Manacorda | Mozart: Sinfonien Nr. 39, 40 & 41
Abo A entdecken
Sinfonischer Frühling
Die komponierenden Nachfahren hat die schier unerreichbare Meisterschaft der beiden Klassiker zu Höchstleistungen angestachelt. Robert Schumann zum Beispiel, der sich nichts sehnlicher wünschte, als Beethoven die Stirn zu bieten. „Symphoniezeit. Eiserner Fleiß“, hielt er im Tagebuch fest. An das große Orchester tastete er sich zögerlich heran, bis 1841 der Knoten platzte. Wie im Rausch komponierte er seine erste Sinfonie – angeblich in nur vier Tagen: „Ich schrieb die Sinfonie, wenn ich sagen darf, in jenem Frühlingsdrang, der den Menschen wohl bis in das höchste Alter hinreißt und in jedem Jahr von neuem überfällt.“ Die Academy of St Martin in the Fields unter der Leitung ihres Music Directors Joshua Bell bringt Schumanns orchestrale Frühlingsgefühle nach Köln. Im Programm auf Augenhöhe: Johannes Brahms und sein Violinkonzert op. 77, das in seinem sinfonischen Zuschnitt die Gattung Solokonzert in neue Welten katapultiert hat.
- Sonntag, 18. Januar 2026 | 20:00 Uhr | Kölner PhilharmonieAcademy of St Martin in the Fields
Joshua Bell
Abo B entdecken
Könige? Revolutionäre!
Apropos „neue Welten“: An der Schwelle zum 20. Jahrhundert kennt der Entdeckergeist keine Grenzen. Auch im Konzertsaal nicht. Auf allen Ebenen wird Sprengstoff an die Traditionen gelegt. „Symphonie heißt mir eben: mit allen Mitteln der vorhandenen Technik eine Welt aufbauen“, bezeugt etwa Gustav Mahler seinen Drang, Grenzen zu überschreiten und in Neuland vorzudringen. Kaum ein Komponist hat wie er die orchestralen Dimensionen ausgereizt.
Und nie zuvor sowie kaum je danach hat ein Tonschöpfer ein ähnlich riesenhaftes Orchester auf ein Konzertpodium gesetzt. „Bisher glaubte ich, dass Richard Strauss das Haupt der Umstürzler sei“, soll Brahms beim Anhören von Mahlers Auferstehungssinfonie geäußert haben, „nun sehe ich aber, dass Mahler der König der Revolutionäre ist.“ Nun gut, Brahms war kein Hellseher und längst verstorben, als Strauss mit einer Elektra oder Salome das Publikum herausforderte. Aber dass sich der gebürtige Münchner traute, die Orchesterbesetzung für seine 1915 uraufgeführte Alpensinfonie um Donnerblech und Kuhglocken zu erweitern, dem dürfte der Revolutionär Mahler maßgeblich Vorschub geleistet haben.
Bei der WDK haben wir in dieser Saison das Glück, gleich beide Riesenwerke im Programm zu haben: Die Bamberger Symphoniker stellen mit Beethovens Pastorale und der Strauss’schen Alpensinfonie zwei berauschende Naturschilderungen gegenüber. In die Mahler’sche Sinfonienwelt begibt sich hingegen Paavo Järvi mit dem Tonhalle-Orchester Zürich. Mahler habe sein Leben verändert, sagt der Este, und das Leben seine Sicht auf Mahler.
- Sonntag, 23. November 2025 | 20:00 Uhr | Kölner PhilharmonieBamberger Symphoniker
Jakub Hrůša | Strauss: Alpensinfonie
Abo A entdecken
- Montag, 01. Dezember 2025 | 20:00 Uhr | Kölner PhilharmonieTonhalle-Orchester Zürich
Paavo Järvi | Mahler: Auferstehungssinfonie
Abo B entdecken
Opulenz von Osten her
Klingt, als wären großdimensionierte Orchesterwelten eine beinah rein deutsch-österreichische Angelegenheit? Natürlich nicht! Wer von sprühenden Orchesterfarben spricht, kann das Ohr vor Osteuropa nicht verschließen, vor dem reichen Repertoire der russischen Romantik und frühen Moderne. Allen voran natürlich Pjotr Tschaikowsky, dessen erstes Klavierkonzert Bruce Liu gemeinsam mit dem City of Birmingham Symphony Orchestra nach Köln bringt. Auch im Programm des britischen Spitzenklangkörpers: Modest Mussorgskys Bilder einer Ausstellung – in der Orchestrierung von Maurice Ravel zum ikonischen Klanggemälde geworden. Mit den bedeutenden Vorfahren im Ohr schuf Sergej Rachmaninow zu Beginn des 20. Jahrhunderts opulente Orchesterwerke. Vor Melodienreichtum strotzt geradezu seine dritte Sinfonie, die das London Philharmonic Orchestra und sein Chef Edward Gardner als weiteres Kapitel ihrer intensiven Beschäftigung mit dem russischen Romantiker in Köln präsentieren. Doch ob Deutschland oder Frankreich, Österreich oder Russland, eins steht fest: Orchestraler Hochgenuss ist garantiert, wenn Spitzenorchester aus ganz Europa bei der WDK sinfonische Welten aufspannen. ◀
- Freitag, 05. Dezember 2025 | 20:00 Uhr | Kölner PhilharmonieLondon Philharmonic Orchestra
Edward Gardner | Sheku Kanneh-Mason
Abo A entdecken
- Mittwoch, 11. März 2026 | 20:00 Uhr | Kölner PhilharmonieCity of Birmingham Symphony Orchestra
Kazuki Yamada | Bruce Liu
Abo A entdecken