Hintergründe

Sol Gabetta im Gespräch

„Als Künstlerin bin ich ständig in Bewegung“

Sol Gabetta © Julia Wesely
© Julia Wesely

Sol Gabetta im Gespräch mit Anna-Kristina Laue über ihre Recherchen zu Lisa Cristiani, die Akustik der Kölner Philharmonie und den Luxus, Nein sagen zu können.

Anna-Kristina Laue: Frau Gabetta, zuletzt konnten wir Sie in der Kölner Philharmonie im Duo mit Patricia Kopatchinskaja erleben – ein Abend voller zeitgenössischer und unkonventioneller Musik. In der kommenden Saison zeigen Sie ganz andere Facetten. Wie entscheiden Sie, welches Repertoire Sie wo spielen?

 

Sol Gabetta: Diese Entscheidung ist immer eine Herausforderung. Mein Terminkalender ist mittlerweile sehr kompakt und selektiv. Ich priorisiere Residenzen und wähle pro Jahr zwei Tourneen sorgfältig aus. Dabei frage ich mich: Mit wem möchte ich unbedingt arbeiten? Mit wem habe ich noch nicht gespielt? Und welche musikalischen Projekte reizen mich besonders?

 

Als Künstlerin bin ich ständig in Bewegung, immer in einem Entwicklungsprozess. Umso spannender ist es, in einer Saison gleich zweimal in Köln zu sein. Diese seltene Gelegenheit erlaubt mir, zwei vollkommen unterschiedliche Programme zu präsentieren. Beim Elgar-Konzert etwa handelt es sich um einen Klassiker, den ich mit der Tschechischen Philharmonie aufführen werde. Mit diesem Orchester habe ich bisher vor allem tschechisches Repertoire gespielt, doch nun steht eine erste gemeinsame Tournee mit Semyon Bychkov bevor – ein völlig neuer Blick auf das Werk. Das ist unglaublich spannend, denn nach so vielen Jahren auf der Bühne gibt es nicht mehr viele Konstellationen, die für mich neu sind. 

Lisa Cristiani

Sol Gabetta über ihr Herzensprojekt

Das Programm rund um Lisa Cristiani ist ein Herzensprojekt, das ich seit über einem Jahrzehnt mit mir trage. Es hat sich nun in einer Weise realisiert, die meine Erwartungen übertrifft. Ursprünglich begann es mit einer Recherche zu ihrer Person – ausgelöst durch Mendelssohns Lied ohne Worte, das ich häufig gespielt habe, ohne jemals zu hinterfragen, wer diese junge Frau war, der Mendelssohn das Werk gewidmet hatte, und welche Beziehungen sie zu den Komponisten ihrer Zeit gepflegt hat.

Je mehr ich über sie erfuhr, desto faszinierter war ich von ihrem Mut, in einer Zeit ohne die Freiheiten, die wir heute kennen, als Frau mit einem Cello um die Welt zu reisen.
Sol Gabetta über Lisa Cristiani

Felix Mendelssohn schrieb das Stück 1845 für die damals 19-jährige Cellistin.

 

Genau. Je mehr ich über sie erfuhr, desto faszinierter war ich von ihrem Mut, in einer Zeit ohne die Freiheiten, die wir heute kennen, als Frau mit einem Cello um die Welt zu reisen. Sie hatte keine Angst, wagte sich allein auf lange Reisen mit Pferd und Kutsche, ohne zu wissen, wo sie übernachten oder spielen würde.

Ihre Reisen führten sie sogar bis nach Sibirien.

 

Ja, und überall, wo sie auf gastfreundliche Menschen traf, blieb sie, spielte Konzerte und tauschte sich mit den Kulturen vor Ort aus. Auch heute, im Jahr 2025, ist das noch beeindruckend.

 

Die größte Herausforderung bei diesem Projekt war es, ihr Repertoire und ihre Geschichte zusammenzustellen. Es existieren nur wenige Quellen, da viele ihrer Briefe verloren gingen. Informationen stammen aus Korrespondenzen anderer oder aus Berichten über Orte, an denen sie spielte. Dennoch war die Recherche eine unglaublich spannende Erfahrung. Auch jetzt, wo wir bereits die Tournee planen, entdecke ich weiterhin Neues.

 

Es geht darum, zu interpretieren, wie es damals gewesen sein könnte: Mit welchen Musikern spielte sie? Welche Werke standen auf dem Programm? Mit Klavier, kleinem Ensemble oder größerem Orchester? Die Möglichkeiten sind vielfältig, und ich habe mich bewusst davon gelöst, nach einer „perfekten“ Lösung zu suchen. Bereits die Recherche ist faszinierend, und je nach Konzertsaal oder Situation wird sich eine eigene Form entwickeln.

Apropos Saal: Welche Rolle spielt die Akustik? Welche Erfahrung haben Sie mit der Kölner Philharmonie gemacht?

 

Die Akustik ist entscheidend, insbesondere für historische Programme. Bei diesen stellt sich ja immer die Frage, ob man Darmsaiten verwenden sollte. Gleichzeitig sind die Säle, in denen wir heute spielen, oft viel größer als damals. Da braucht es Kompromisse, etwa umwickelte Darmsaiten oder andere Anpassungen.

 

Die Kölner Philharmonie ist jedoch ein fantastischer Raum, der es auch kleinen Besetzungen ermöglicht, bis zur letzten Reihe klar hörbar zu sein. Ich erinnere mich an das Duokonzert mit Patricia Kopatchinskaja: Wir hatten zunächst Bedenken, ob wir zu zweit in diesem großen Saal bestehen würden. Doch die Akustik war außergewöhnlich, und jedes Detail war präsent.

Es ist tatsächlich ein Instrument, das in seiner Haltung etwas Harmonisches hat, fast wie eine Umarmung.
Sol Gabetta über das Cello

Lisa Cristiani begann ihre Karriere zu einer Zeit, in der es für Frauen als unschicklich galt, Cello zu spielen. Haben Sie ähnliche Vorurteile erlebt?

 

Zum Glück nicht. Ganz im Gegenteil – als ich vor 20 Jahren meine Karriere begann, galt das Cello bei Frauen sogar als besonders elegant. Es ist tatsächlich ein Instrument, das in seiner Haltung etwas Harmonisches hat, fast wie eine Umarmung. Lisa Cristiani hat mit ihrer Kunst sicherlich viele Veränderungen angestoßen, und der Stachel am Cello hat das Spiel zweifellos revolutioniert. [lacht]

Zum Schwelgen schön

Sol Gabetta über das Elgar-Cellokonzert, eines ihrer Lieblingswerke

Das Elgar-Konzert haben Sie bereits 2010 aufgenommen. Spielen Sie es heute anders?

 

Ich habe das Werk mittlerweile sogar zweimal aufgenommen. Früher fragte ich mich, warum Solisten Werke mehrfach einspielen. Doch mittlerweile verstehe ich es: Jede neue Zusammenarbeit, jedes Orchester, jeder Dirigent bringt eine frische Perspektive. Dennoch bleibt der Aufnahmeprozess anspruchsvoll, da man ständig kritisch mit sich selbst konfrontiert ist.

 

Im Konzert hingegen hat man nur diesen einen Moment, der unwiederbringlich ist. Selbst wenn ein Werk mehrfach aufgeführt wird, ist jedes Konzert anders – durch das Publikum, die Akustik oder die eigene Tagesform. Das macht den Zauber des Live-Erlebnisses aus.

Neben Ihrer Karriere als Solistin und Kammermusikerin forschen Sie, konzipieren Programme, unterrichten und moderieren. Wie schaffen Sie das alles? Hat Ihr Tag mehr als 24 Stunden?

 

[lacht] Leider nicht! Das Wichtigste ist, Prioritäten zu setzen – und diese verändern sich mit der Zeit. Mein Lehrer Ivan Monighetti hat mir schon als Kind beigebracht, bewusst mit meiner Zeit umzugehen. Er sagte: „Es geht nicht darum, wie viele Stunden du übst, sondern wie effektiv du bist.“ Kreativität braucht auch Raum für Chaos und Muße. 

 

Gerade habe ich bewusst eine dreimonatige Pause eingelegt, um Neues zu lernen und mich ohne Druck weiterzuentwickeln. Solche Phasen sind essenziell, um langfristig kreativ und gesund zu bleiben.

Es geht nicht darum, wie viele Stunden du übst, sondern wie effektiv du bist.
Ivan Monighetti

Ihr Pensum war früher enorm hoch. Wie gehen Sie heute damit um?

Anfangs nimmt man alles an, um sich einen Platz auf der Bühne zu sichern. Heute genieße ich den Luxus, Nein sagen zu können, und habe gelernt, meine Gesundheit und Zeit zu schätzen. Natürlich ist es eine Herausforderung, sich bewusst mit sich selbst und der eigenen Zeit auseinanderzusetzen. Doch es ist auch ein befreiender Prozess. ◀