Wie klingt ein Land mit sprichwörtlich unbegrenzten Möglichkeiten? Vier Starsolisten formulieren klanggewaltige Antworten.
Gibt es so etwas wie den Urknall, eine Stunde Null in der Zeitrechnung amerikanischer Kunstmusik? Ja, gibt es! Am 16. Dezember 1893 schlug diese Stunde, als Antonín Dvořák in der New Yorker Carnegie Hall eine neue Ära einläutete – mit seiner neunten Sinfonie, genannt „Aus der Neuen Welt“. Er möge Amerika in Sachen Kunstmusik einen eigenen Weg weisen, so hatte man es sich von Dvořák gewünscht. Und der Tscheche hatte geliefert: eine Sinfonie voller Klanggewalt, Farbintensität und mit größtmöglichem Gänsehautfaktor! Doch ist sie auch amerikanisch?
Darüber streiten die Gelehrten bis heute. Was Dvořák der jungen Nation auf der Suche nach sich selbst aber mit auf den Weg gab: Es braucht neugierige Entdecker mit Lust auf den schillernden Klang eines vielgestaltigen Kontinents – musikalische Goldschürfer, die im Land der unbegrenzten Möglichkeiten mutig aus dem Vollen schöpfen. Die bei den Musiktraditionen indigener Völker hinhören oder sich für die musikalischen Importe afroamerikanischer Communities begeistern. Es braucht solche, die dem eigenen Sound Amerikas auf die Spur kommen und sich trauen, neue Wege für die „Neue Welt“ zu gehen: American Ways of Music!
Schubladen? Nein, danke!
Was zeichnet sie aber aus, diese amerikanischen Musikwege? Es ist eine Offenheit, die hierzulande ihresgleichen sucht. Von Schubladendenken keine Spur. Stattdessen buchstäbliche Grenzenlosigkeit. Der berüchtigten Trennung von E und U etwa begegnen die Amerikaner mit erfrischendem Unverständnis. Dafür gesorgt hat unter anderem George Gershwin, der in seinen Werken Konzertsaal und Jazzkeller miteinander verschwisterte. Eine Selbstverständlichkeit für den gebürtigen New Yorker – erkannte er doch den Jazz als festen Bestandteil der amerikanischen Musik-DNA. Selbstverständlich darf dieser Pionier nicht fehlen in einem Konzertreigen, in dem Amerika zum Programm wird. Daniil Trifonov kitzelt in Köln aus Gershwins Concerto in F die Jazz-Anklänge heraus. Der Ausnahmepianist selbst hat Big Apple bereits vor Jahren zu seiner neuen Heimat gemacht und weiß, welche starken Einflüsse die pulsierendste aller amerikanischen Metropolen auf Musiker ausüben kann.
Jakub Hrůša | Daniil Trifonov
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Jazzige Grooves in klassischem Gewand
Berühmter Wahl-New-Yorker ist auch Wynton Marsalis. 1978 zog er zum Studium dorthin, inzwischen ist er künstlerischer Leiter von Jazz at Lincoln Center und weltweit gefeierter Star der Jazztrompete. Sein Credo: „Jazz ist eine Musik, die sich wirklich damit beschäftigt, was es bedeutet, Amerikaner zu sein.“ Das hindert ihn allerdings nicht, Klassik und Jazz wirkungsvoll miteinander zu verbinden. Und so darf man gespannt sein, wie viel Jazz sein Trompetenkonzert atmet. Alison Balsom interpretiert das fast noch druckfrische Werk so brillant, dass es beinahe scheint, als wäre es für sie komponiert – was wohl auch daran liegt, dass die Britin Marsalis schon lange zu ihren größten Idolen zählt. Dieser Umstand mag auch dazu beigetragen haben, dass sie in dieser Saison eine große Ausnahme macht: für Marsalis – und für Köln. Denn deutlich öfter als das Konzertpodium betritt Alison Balsom inzwischen das Aufnahmestudio; dem Tourneebetrieb hat sie eigentlich abgeschworen. Ihr Konzert mit dem London Symphony Orchestra sollte man sich also nicht entgehen lassen!
London Symphony Orchestra | Sir Antonio Pappano
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Ein Österreicher in Hollywood
Nicht in die Jazzkeller New Yorks, sondern ins sonnige Kalifornien zog es in den 1930er-Jahren Erich Wolfgang Korngold. Er war einer Einladung des Regisseurs Max Reinhardt nach Hollywood gefolgt und avancierte mit Soundtracks zu Filmen wie Robin Hood oder Der Herr der sieben Meere rasch zum Starkomponisten der Traumfabrik. Sein Weg, mit dem er das noch junge Genre der Filmmusik entscheidend prägte: den Klang von Alter und Neuer Welt im Breitwandformat zusammenzubringen. Korngolds goldener Mittelweg durchzieht auch sein einziges Violinkonzert, das bei seiner Uraufführung 1947 in St. Louis überwältigende Ovationen erhielt und bis heute zu den Top-Hits der Violinliteratur zählt. Auch Hilary Hahn verhehlt ihre Liebe zu Korngolds üppigem Konzert nicht. Es ist eines der Herzstücke im Repertoire der Amerikanerin. Wenn sie in ihrer charmanten Art über die Selbstzitate des Hollywood-Komponisten Korngold spricht oder mit einem Augenzwinkern erklärt, der Finalsatz sei „purer Rock ’n’ Roll“, dann möchte man sie bitte sofort hören mit diesem fabelhaften Konzert.
Gianandrea Noseda | Hilary Hahn
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Auf einer Wellenlänge
Wer heutzutage an Hollywood-Komponisten denkt, dem fällt vermutlich als erster Name eine wahre Musikerlegende unserer Zeit ein: John Williams. Eine innige Künstlerfreundschaft verbindet den vielfach preisgekrönten Grandseigneur der Filmmusik mit Stargeigerin Anne-Sophie Mutter, ihres Zeichens bekennender Kino-Fan. „Er ist ein großartiger Komponist, egal in welchem Stil er schreibt“, schwärmt Anne-Sophie Mutter. Und so machte Williams ihr im Jahr 2022 ein ganz besonderes Geschenk: „Composed especially for Anne-Sophie Mutter“, lauten die fast liebevollen Worte, die der Komponist der Partitur seines zweiten Violinkonzerts voranstellte, einem Werk von schillernder Farbigkeit, das sich vor der Künstlerin ebenso verneigt wie vor ihrem Instrument. Prädikat: Unbedingt entdeckenswert! So wie Amerika eben – und das mitreißende Faible des Kontinents für neue musikalische Wege.
Anne-Sophie Mutter | Fabio Luisi
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